E L F R I E D E B A U M G A R T N E R Gargoyles und Carnivorae In der Serie "Gargoyles" hat Elfriede Baumgartner Schreckgestalten und Dämonen unter Glas gelegt. Die solcherart verwahrten Wesen sind Wasserspeier von gothischen Sakralbauten in Paris. Sie hat sie bei Nacht in Langzeitaufnahmen d.h.ohne Blitz, nur bei Straßenbeleuchtung fotografiert. Durch das Kondensorglas, das wie eine optische Linse wirkt, erreichen die eingeschlossenen Figuren hohe Plastizität und es entsteht so etwas wie die Illusion eines Raumes, eines nächtlichen, dunklen, phantasmatischen Raumes. Bewegt man die in Aluminium gefaßten Glasobjekte so wandern die ohnehin zum Kippen und Stürzen neigenden Figuren mit, spielen sich frei von ihrer archaischen Statuarik und gehen um, suchen heim, werden zu Trägern psychischer Energien. Schaut man durch das Glas hinein bzw. hinüber so sieht man sie dort - uralt, abgewittert, verloren, vergessen, lange gedient, von der Tragik und Einsamkeit derer, die überdauern, wenn andere das Zeitliche segnen dürfen. Als Wasserspeier haben sie alle ihre Münder weit aufgerissen und scheinen für einen ganz expressiven Kommunikationswillen zu stehen. Die ganze Spannung der Figuren kulminiert in diesen ausgetrockneten Mundöffnungen, die stumm und stillgelegt sind.In Elfriede Baumgartners Arrangment scheinen sie gegen Glaswände anzuschreien bzw. scheint sich ihr Ausdruckswille an der Unüberwindlichkeit dieser Glasbarriere aufzubauen. Nichts aber dringt durch. Rufen sie, so tun sie das drüben. Sollten sie Sprachwesen sein, so an sich selbst leidende. Die von Elfriede Baumgartner geschaffenen Glasreservate konstituieren Gegenwelten und sind bevölkert von Wesen der anderen Art. Als phantasmatische Gebilde hängen diese in hohem Maße von der Wahrnehmens- und Begehrensstruktur derer ab, die sich auf der Tag-Seite des Glases befinden. Durch Drehen und Kippen der Objekte kann man sie in ihren dunklen Räumen umtreiben. Dann offenbaren sie ihren Charakter als Chimären und Ausgeburten geängstigter Phantasie. Gleichzeitig kann man sie aber in dieser speziellen Anordnung auch ganz in den Blick nehmen, sich über sie beugen und sie dementsprechend fokusieren. Man kann Nahsicht pflegen, sich das vor Augen führen, was üblicherweise weit entfernt ist und einen nahezu wissenschaftlichen Umgang mit den Dämonen pflegen. Dann schrumpfen sie in ihren Glasgefäßen und bieten sich willig als Versatzstücke gothischer Architektur oder als Zwitterwesen aus dem Fundus der Kunstgeschichte an. In den Pflanzenfotos Elfriede Baumgartners geht es wieder um diesen Blick durch die Linse. Was sich jedoch diesmal auf der anderen Seite zeigt, sind keine düsteren Welten, sondern Szenarien der Helle, der Dynamik, der Befreiung. Der Kameraaufbau erinnert an eine Bühne und auf dieser Bühne erscheinen die Protagonisten - carnivore Pflanzen - befreit von herkömmlichen Abbildungscodes. Die Regievorgabe lautet eigentlich nur, sich nicht an das zu halten, was ihr Erscheinungsbild normalerweise ausmacht. Eine zwischen Kamera und Objekt plazierte Linse, die einem Episkop entstammt, bewirkt Abbildungsfehler. Diese Aberrationen oder Abweichungen äußern sich in aufgelösten Konturen der Pflanzen, in Farbsäumen, in Unschärfen, Verzerrungen und kometenähnlichen Gebilden, die dort aufleuchten, wo achsenferne Gegenstandspunkte waren. Waren die Modelle zuvor Gargoyles, so sind es jetzt fleischfressende Pflanzen. Zu diesen Pflanzen hat Elfriede Baumgartner einen stark persönlichen Bezug. Sie lebt mit diesen Pflanzen, die anheimelnd gefräßig ihre Fensterbank füllen und dort einen Streifen Wildnis entstehen lassen. Man kann diesen Pflanzen beim Insektenfang zuschauen, sehen, wie sich ihre Fangarme um die Beute schließen. Was carnivore Pflanzen und Gargoyles verbindet, ist ihre Wildheit, Fremdheit und Zwitterhaftigkeit. Auf der von Elfriede Baumgartner temporär eingerichteten Bühne findet ein Feuerwerk des Visuellen statt. Pflanzen feiern ihr Entkommen aus Abbildungscodes und beginnen vor der Linse zu tanzen, zu swingen, zu leuchten. Hier wird etwas zu sehen gegeben, das an Malerei grenzt. Dynamik ersetzt Statik. In all den zu Farbsäumen zerlegten Umrißlinien scheint das Davor und Danach der Bewegung als Lichtspur bewahrt. Die Protagonisten hinter der Linse geben sich in hohem Maße wandelbar und haben ihre festen Konturen wie Korsette abgelegt. Es ist nahezu beängstigend, wie anfällig all diese Gebilde für Deformationen und Auflösungen sind. Sie scheinen nichts von sich abzuweisen und sich ihrer alten Gestalt in keiner Weise verpflichtet zu fühlen. Ihr Wille zur Transformation grenzt an Unloyalität menschlichen Abbildungsverhältnissen gegenüber. In diesen Bildern wird das Fehlerhafte in sein Recht eingesetzt. Die hier inszenierten Abbildungsfehler führen zu Resultaten jenseits des Falschen und Richtigen. Die Künstlerin hat mittlerweile eine solche Meisterschaft im Fehlerzulassen entwickelt, daß sie das von der Repräsentationsnorm Abweichende und das diese Norm Bestätigende in Bildern nebeneinander zu setzen vermag. Mit diesen Bildern entwickelt man eine Ahnung davon, was an Wahrnehmungsmodi des Lebendigen möglich wäre. Kant kommt in den Sinn und sein Verdikt von der Bestimmtheit des menschlichen Perzeptionsapparates. Trotzdem wird in Elfriede Baumgartners Kunst nicht einer Ding-an-sich Romantik gefrönt. Dies sind Bilder von hoher Künstlichkeit und jede neue Linse würde neue Kreationen hervorbringen. Angeleitet durch Gargoyles und Carnivores zeigt sich - jenseits unserer Wahrnehmungsfilter ist die Wirklichkeit erschreckend und befreiend gleichermaßen. Monika Schwärzler