Thomas Wagner: Das Dröhnen der Welt. Die Documenta war so global wie nie. in: FAZ.NET 14.09.2002 Das Dröhnen wird bleiben. Es war schon länger da. Aber von der Documenta 11, die morgen ihre Pforten schließt, wird man sagen, sie habe es weithin und für viele erst hörbar gemacht. Nicht nur jenes quälende Geräusch, das eine Frau in Eija-Liisa Ahtilas Video malträtiert. Einfach nur "Das Haus" nennt die Künstlerin ihr Werk, gerade weil die einsam im Wald gelegene Behausung keinen Schutz mehr bietet vor all den Katastrophen und Tragödien, die sich beständig irgendwo draußen in der Welt abspielen und an denen wir ganz und gar Heutigen doch gezwungen sind, medial teilzunehmen. Selbst dann noch, wenn wir nicht hinsehen und hinhören wollen oder können. Daß im Film eine Kuh den Fernseher verläßt und durchs Zimmer geht, offenbart nur die harmlose Seite dieses entgrenzenden Geschehens, das Globalisierung heißt und wie ein Gespenst durch Köpfe und Körper spukt. "Wenn Gewalt im eigenen Haus wohnt, wohin kannst du entkommen?" fragt sich der Erzähler in Amar Kanwars Film. Indem sich die Documenta 11, wie deren künstlerischer Leiter Okwui Enwezor es formuliert, den kulturellen und politischen Veränderungen geöffnet hat, die durch globale Transformationen herbeigeführt werden, hat sie weniger die Kunst erneuert als den Blick dafür geschärft, wie schwierig es gegenwärtig ist, Chancen und Grenzen einer symbolischen Form von Widerstand zu bestimmen. Und doch ist es vor allem die bildende Kunst, die diesseits und jenseits der Diskurse operiert und sondiert, die sich, trotz aller Marktkonformität und Machtlüsternheit, querstellt, die hakt, bremst und stört, weil niemand exakt bestimmen kann, was ein Kunstwerk mitteilt, was es andeutet, unterschlägt und verschweigt. Kunstwerke sind, wie es Sarat Maharaj, einer der Co-Kuratoren der Schau, im Katalog formuliert, "Modalitäten des Sehens-Denkens-Fühlens-Erfassens", die "sowohl ,andere' Arten des Wissens als auch ein Wissen über das ,Andere'" ermöglichen. Wenn die Kunst aber ein solches "Xeno-Instrumentarium" produziert, um, wie Maharaj sagt, "Differenzen anzulocken, herbeizuführen, auf sie zuzugehen, um das ,Fremde', ,Unbekannte', ,Andere' zu erkennen", dann kann es auf Dauer nicht genügen, sich in der Kunst vor allem postkolonialistisch zu positionieren und an all die Phantomschmerzen zu erinnern, die diese Form der Amputation des Eigenen noch immer erzeugt. Es getan zu haben war gleichwohl richtig und wichtig. Blinde Flecken und Platitüden eingeschlossen. Wie schon die zehnte documenta von Cathérine David, so hat auch die D 11 die bildende Kunst in all ihren Facetten zum gesellschaftlichen Leitmedium erhoben. Es sei die Kunst, so das Credo, die uns ergreife und unterrichte, die uns ins Bild setze und somit Wissen produziere, das nirgendwo sonst in vergleichbarer Weise zu haben sei. Dabei ist es der D 11 als Verdienst anzurechnen, daß sie mitten im weiten Ozean bloßer Informationen an die Sensationen des Faktischen erinnerte, auch wenn dieses sich nicht immer glücklich mit dem Symbolischen verschwistert. Gerade weil sich das Faktische als kontingent erweist und eher einem Blick in den Abgrund gleicht als einem Schwelgen in Schönheit. Erfrischend brachte die Documenta Elemente unterschiedlicher Kulturen zur Kollision, versäumte es aber, sich der westlich dominierten Nivellierung des Ästhetischen entgegenzustemmen. Viele der Stimmen, die zu vernehmen waren, sprachen zwar von fernen Ereignissen und fremden Kulturen, von anderen Denkweisen und symbolischen Ordnungen, doch wie sie sprachen, blieb meist vertraut und westkunstmarktkompatibel. Ähnliches gilt für die Präsentation, die sich defensiv auf den "White Cube" und die Tradition des europäischen Kunstmuseums stützte. Das machte die Werke einerseits zugänglicher, zeigte aber auch, wie schwer es ist, Alternativen zu entwickeln. Selten wurde das Allerneueste so schnell musealisiert, das Terrain jenseits der gesicherten Säle so in mediale Ferne gerückt wie diesmal. Nur Thomas Hirschhorn harrte aus, vor Ort. Nach der Documenta ist immer auch vor der Documenta. Und so bleibt zu fragen: Kann die Institution Documenta als intellektuelles Labor überleben, wenn sie auch künftig dem Druck ausgesetzt bleibt, immer höhere Besucherzahlen vorweisen zu müssen? Es war zeitweise sehr voll in Kassel, zu voll. Wenn sich die Besucher scharenweise durch die Säle und Raumlabyrinthe schoben, dann war dies kein Ort mehr, an dem Kunst angemessen rezipiert werden konnte. Auch so wird Welt unsichtbar. Und was es für einen ambitionierten Ansatz bedeutet, wenn bei derartigen Großveranstaltungen am Ende die Erwartung eines Spektakels über dessen bewußte Zurückweisung triumphiert, kann man sich vorstellen. Von den Machern selbst beklagt wurde es jedenfalls nicht. So hat die elfte Documenta die Kunst zwar nicht im agitatorischen Sinn politisiert, das Politische in den Zeiten der Globalisierung aber erfolgreich als Territorium der Kunst zurückgewonnen. Sie beackerte das unübersichtliche Gelände mit großem Ernst - und vergaß darüber die stärksten Bataillone gegen das Unrecht: die subversiven Potentiale des Humors, das Befreiende des Lachens, die List der Trickser und die Frechheit der Narren. Korrektes Wissen von den Übeln der Welt wird kaum reichen. Denn das Dröhnen wird bleiben.