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Deborah Stratman. Hacked Circuit

04.2017 - 05.2017

Galerie Stadtpark Krems, Krems an der Donau / Österreich

In der Ausstellung Hacked Circuit richten zwei Filme der amerikanischen Künstlerin und Filmemacherin Deborah Stratman den Fokus auf die auditive Dimension des Filmischen, auf den Gehörsinn. Sowohl in der filmischen Miniatur The Magician’s House als auch im Kurzfilm Hacked Circuit spielt die immersive Kraft von Ton und Musik, die das Gesehene wesentlich beeinflussen und narrativ aufladen, die bestimmende Rolle. Während sich bei The Magician’s House die raumevozierende Kraft des Hörbaren als konstitutiv für das poetisch-essayistische Narrativ erweist, wird in Hacked Circuit das Gesehene vom Gehörten konterkariert und damit einer subtilen und dennoch stringenten Dekonstruktion unterzogen....

Die Fokussierung auf das Akustische, sein affektives Potential und seine innerfilmische Bedeutung, leitet sich bei Deborah Stratman nicht nur aus ihrer langjährigen Beschäftigung mit Sounddesign sowie ihrer Unterrichtstätigkeit innerhalb dieses Bereiches ab, sondern lässt sich ebenso vor dem Hintergrund ihrer skulpturalen Praxis, der Entwicklung von Sonic Landscapes und Klanginterventionen, lesen, in denen sie die öffentliche und somit auch politische Dimension des auditiven Raumes thematisiert. Ihr Interesse gilt dabei durchaus alltäglichen Wahrnehmungssituationen und -bedingungen, sie richtet die Aufmerksamkeit auf wahrnehmungsbestimmende auditive Faktoren, die sich der unmittelbaren Wahrnehmung entziehen und sich daher besonders für manipulative Zwecke eignen. Der Film Hacked Circuit lässt sich auch als Ode an die Tätigkeit des Geräuschemachens verstehen, denn beim Medium des Films wird die Ebene des Tons, des Klangräumlichen und der Musik meist nur peripher wahrgenommen. Auch des affektiven Potentials von Ton, Klang und Musik sind sich die Rezipienten meist kaum bewusst. Sounddesign bildet in Hacked Circuit nicht nur den zentralen „Gegenstand“ der filmischen Selbstreflexion, sondern steht auch stellvertretend für eine grundsätzliche Hinterfragung von Wahrnehmung, für die ihr inhärenten blinden Flecken, ihre medialen Bedingungen und subliminalen Prozesse.

In The Magician’s House lässt ein Höreindruck den Kurzfilm noch vor dem ersten Bild beginnen. Ein Arpeggio, eine Akkordzerlegung aus The Struggle of the Magicians, komponiert von Georgi Gjurdschijew und Thomas de Hartmann um 1920, bildet den ersten, dezidiert nonvisuellen Bestandteil der Raumdiegese. Die darauffolgende erste Kameraeinstellung zeigt ein altes Blockhaus in ländlicher Umgebung, vorerst in der Totale, um dann in langsam wechselnden Einstellungen Spuren von Erlebtem nachzugehen. Flüsternde Stimmen begleiten diese anfängliche Bildsequenz, sodass man meint, Gedanken zum Film zu hören.

Diese filmische Miniatur ist für Stratman „einer jener Filme, die sich sozusagen von selbst aufgenommen haben“. Die Künstlerin verwendete beinahe das gesamte, an nur einem Nachmittag aufgenommene Material. Stratman zeigt das Haus, die Wohn- und zugleich Arbeitsstätte eines befreundeten, im Sterben liegenden Filmemachers, keineswegs dokumentarisch, sondern als Stätte der Durchdringung von Vergangenem und Gegenwärtigem. Sie begegnet dem Haus als Ort möglicher Transformation – von Gegenständlichem in Mentales und potentiell Filmisches, aber auch umgekehrt von Metaphysischem, Atmosphärischem und Imaginärem in Realräumliches. In stillebenartigen Aufnahmen lässt sie den Film selbst in Bildern, Klängen und Geräuschen über den Filmemacher und seine „alchemistische“ Arbeitsweise nachdenken. Zugleich wird der geradezu intime Essayfilm zu einer stillen Hommage an das schwindende Medium des analogen Films.

In der dritten Einstellung, die Kamera ist dem Haus nun näher gekommen, gerät die Musik abrupt in den Hintergrund, wird raumakustisch auf Distanz gerückt, um Geräusche einer sich im Haus bewegenden Person hervortreten zu lassen. Die hörbaren Bewegungen eröffnen einen dritten „Raum“ jenseits des filmisch gezeigten Bildraumes sowie des durch die Musik evozierten imaginären Raumes. Die in weiterer Folge gezeigten stillebenartigen Bildeinstellungen beginnen mit der Tonspur, den Bewegungsgeräuschen und Arbeitsgeräuschen, zu divergieren und asynchron zu laufen. Wenngleich sich in ruhigen Bildern fortspinnend, wird ab diesem Zeitpunkt die räumliche Matrix, also das Wechselspiel von sichtbarem Bildraum und auditiv evoziertem Vorstellungsraum, sukzessive komplexer und für den Rezipienten mental fordernder. Dabei lässt Stratman jeglichen „Erzählstrang“ im Vagen verlaufen, noch bevor sich dokumentarisch-porträthafte Züge des Bewohners, des filmischen „Magiers“, erkennen ließen.

Spätestens in der Mitte von The Magician’s House machen die staccatoartigen Einblendungen fragmenthafter Aufnahmen eines bilderwerfenden Filmprojektors die mediale Selbstbezüglichkeit des Kurzfilms deutlich, der poetisch-essayistisch, aber auch vorsichtig suchend über das eigene Medium, seine Bedingungen sowie das mit ihm einhergehende ästhetische „Denken“ reflektiert. The Magician’s House ist letztlich dem Film selbst sowie dem Leben mit diesem Medium gewidmet. Die Person des Filmemachers, der hier mit der Figur des Magiers analogisiert wird, verbleibt im Vagen, sein Haus legt aber auf geradezu skulpturale Weise Zeugnis einer besonderen Verbindung von Kunst und Leben ab. Die Anmutung des im Original auf 16-mm gedrehten Films verleiht dem gewollt unvollständigen „Porträt“ des Hauses und seines Bewohners dabei ein retrospektives, subtil melancholisches Moment. Der Film ist Rückblick auf Vergangenes, auf etwas, das so nicht mehr ist und auch nicht wiederkehrt, er ist jedoch ebenso eine Spurensuche und Befragung von Leerstellen, die ins Hier und Jetzt hineinreichen und -wirken. Stratman zeichnet die Verwobenheit von filmischem Medium, filmischem Denken und realem Raum nach und zeigt dabei die Interdependenzen von innerem, mentalem und „äußerem“, umgebenden Raum auf. Gerade die fehlende Abgrenzung jener Bereiche lässt Stratmans Film zu einem Porträt filmischen Denkens werden. Realer und filmischer Raum lassen sich nicht voneinander trennen, sie gehen nahtlos ineinander über, sodass diese kleine filmische Miniatur über ein einfaches Blockhaus in die so gar nicht einfache Frage nach dem Verhältnis der unterschiedlichen Seinsanteile des Filmischen mündet.

In Hacked Circuit stellt Deborah Stratman die Hierarchie filmischer Wahrnehmung unter geradezu dekonstruktivistischen Vorzeichen auf den Kopf. Das Sehen erweist sich hier nur vermeintlich als primärer Sinn. Stratman zeigt in dem aus einer kontinuierlichen Steadicam-Fahrt bestehenden Film zwei Geräuschemacher bei der Arbeit am Vertonungsprozess der Schlusszene von The Conversation mit Gene Hackman. Das filmische Geschehen entsteht hier jenseits des dokumentarisch anmutenden Bildkontinuums zunehmend auditiv evoziert in der Vorstellung des Betrachters. Der eigentliche Projektor dieses Films ist nicht die Lichtmaschine, sondern der mentale Apparat des Rezipienten.

Deborah Stratman lässt auch Hacked Circuit mit Musik beginnen. Das Andante der Klaviermusik von Francis Ford Coppolas The Conversation verleiht dem Geschehen eine ruhige, bedachte und dennoch beunruhigende Atmosphäre. Stratman lässt die Musik von David Shire in eine fließende Steadicam-Fahrt übergehen. Die Bildsprache der ruhigen Kamerafahrt durch dunkle, ein wenig unheimlich anmutende Straßen changiert zwischen dokumentarischer Aufzeichnung und narrativer szenischer Aufladung, die sich wesentlich der Wirkung der Musik verdankt. Die artifizielle, unnatürliche Wirkung der Steadicam lässt den Betrachter zum sich herantastenden, sich geradezu anschleichenden Beobachter werden und aus der schlichten Aufzeichnung eines abendlichen urbanen Stadtraumes eine beinahe bedrohliche Szene werden. Bereits nach wenigen Sekunden der wechselseitigen Semantisierung von Musik und Bild lässt Stratman unvermittelt Arbeitsgeräusche aus einer Werkstatt, einem Studio oder Ähnlichem als dritte Erzählebene, als quasi dritte „Spur“, auf den Plan treten. Und obwohl der Betrachter bereits ahnt, dass er es hier mit einer bild- und klangräumlichen Konstruktion zu tun hat, werden selbst unspektakuläre Geräusche (wie das Öffnen eines Schraubverschlusses oder einer Kastentür) unmittelbar mit der aufgebauten beklemmenden Szenerie in Verbindung gesetzt, als könne der mentale Apparat des Betrachters nicht anders, als das Gehörte entsprechend der Musik zu interpretieren. Auch die Raumakustik dieser Geräusche – der Hörer glaubt, sich direkt neben den Geräuschquellen zu befinden – reicht nicht aus, um den narrativen Sog zu durchbrechen, zu stark ist die immersive Wirkung der Musik.

Nachdem die Kamerafahrt in ein ebenerdiges Gebäude hineinführt, scheint sich das Rätsel der Herkunft der Geräusche aufzulösen. Erst an dieser Stelle beginnt die immersive Wirkung zu kollabieren. Der Betrachter wird nun durch die Arbeitsstätte zweier Geräuschemacher geführt, um ihnen bei der Arbeit an der Neuvertonung der Schlusszene von The Conversation zuzusehen, einem Film, der filmgeschichtlich geradezu paradigmatisch für die Auseinandersetzung mit akustischer Überwachung steht. In dieser Szene zerlegt der von Hackman gespielte Abhörspezialist Harry Caul, nachdem er herausgefunden hat, dass er selbst überwacht wird, auf der Suche nach Abhörgeräten showdownartig sein gesamtes Apartment.

Zu diesem Zeitpunkt erscheint Stratmans Film für eine kurze Dauer rein dokumentarisch, aufzeichnend-berichtend. Einzig die spezifische Ästhetik der Steadicam-Fahrt ist in ihrer Körper- und Schwerelosigkeit dem dokumentarischen Eindruck ein wenig abträglich. Der Film wirkt nun nüchtern, stellenweise geradezu banal. Auch raumakustisch ist der Hörer im Hier und Jetzt des aktuellen Arbeitsgeschehens angekommen. Die Dialoge zwischen Tontechniker und Geräuschemacher sind in trockener Raumakustik zu hören, jegliche raumevokative Wirkung wie die anfänglich verhallte (mit viel Pedal gespielte) Klaviermusik ist hier dem realen Geschehen und seiner nüchternen Wiedergabe gewichen. Dieser Filmabschnitt markiert eine Wende, einen Bruch des anfänglich aufgebauten Narrativs. Die nunmehrige Synchronizität zwischen Ton- und Bildebene wird jedoch einer schleichenden Dekonstruktion unterzogen. Denn bei genauerer Betrachtung handelt es sich ja um eine gewollte, künstlich geschaffene Form von Synchronizität: Die Geräusche erweisen sich als von den Geräuschemachern in Echtzeit und entsprechend der filmischen „Vorlage“ hergestellte „Abbilder“ des Gesehenen, sodass der Zuseher zu einem Zeugen einer höchst inszenierten Form von dokumentarischer Authentizität wird.

Nach mehreren Minuten nüchterner Aufzeichnung zieht sich die Steadicam, nun rückwärtsfahrend, aus dem Tonstudiogebäude zurück. Der Betrachter sieht sich alsbald, wie schon zu Beginn des Films, mit Aufnahmen vorwiegend leerer abendlicher Straßen und Gassen konfrontiert. Das erneute Ertönen der anfänglichen Filmmusik lässt ihn das Szenario vermeintlicher Authentizität schlagartig vergessen. Umgehend wird er von der neuerlichen Bild- und Klangimmersion erfasst. Obwohl sich der Rezipient längst bewusst ist, dass ihm die Manipulierbarkeit der eigenen Wahrnehmung vorführt wird, kann er sich dem narrativen Sog nur schwer widersetzen. „Even though“, so Stratman „we are critically aware of the mechanisms of manipulation we have that Pavlovian response to sound. We can’t turn it off. We can’t not feel it.“
>Stratman setzt den Filmrezipienten einer stetigen Beobachtung der eigenen Wahrnehmung, des Hörens und des Sehens aus, ohne dass sich jemals eine „Wahrnehmungszentrum“ oder ein verlässliches und geordnetes Verhältnis ausmachen ließe. Schließlich zeigt sich, dass nicht die Frage der ontologischen Zugehörigkeit oder die Herkunft eines Wahrnehmungseindrucks von Bedeutung ist, sondern wie die synthetisierende Wahrnehmungstätigkeit des Betrachters mit den unterschiedlichen Sinneseindrücken umzugehen vermag, aber auch, wie reflexiv-analytische Anteile der Wahrnehmung und affektive Resonanz ineinandergreifen. Der Betrachter wird zum Beobachter des eigenen mentalen Apparats, seines Vermögens, aber auch seiner „Anfälligkeit“ für unmittelbare Affizierung. Dies kann vor dem Hintergrund zunehmender akustischer Überwachung in latente Paranoia münden, andererseits jedoch die Rolle von Selbstbeobachtung und -reflexion als w­esentliche epistemologische Instrumente erkennbar werden lassen.



David Komary


[Quelle: www.galeriestadtpark.at]

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