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Josef Bauer. Die Sprache des Zeigens

07.03.2018 - 19.04.2018

Krobath Wien, Wien / Österreich

JOSEF BAUER
Im Kontext dem Kontext seiner Zeit entlaufen

I
Vielleicht ist dies der Grund, warum Josef Bauer erst jetzt wieder in den Fokus rückt, ein Künstler, der bescheiden ist, ganz in seiner Arbeit aufgeht, zurückhaltend ist und eben nicht in der Metropole lebt. Und es ist erstaunlich, wie sehr Bauer entscheidende Entwicklungen in der österreichischen wie aber auch der internationalen Kulturentwicklung vorweggenommen hat, Strömungen, mit denen später andere Österreicher international reüssierten.... ??

Sein künstlerisches Umfeld bestand aus den Dichtern der Wiener Gruppe, dem deutschen Künstler Hans-Peter Feldmann sowie dem Künstler- und Literatenkreis rund um den Schriftsteller Heimrad Bäcker. Diese Szene war spartenübergreifend organisiert. Der Diskurs über die Kunstgattungen hinweg wurde durch die räumliche Nähe der Einrichtungen und die geringe Zahl der Künstlergruppen begünstigt. Die Galerien, Ausstellungsräume, Theater, Lokale, Clubs und Treffpunkte dienten der gemeinsamen Reflexion und dem Diskurs, der künstlerischen Produktion sowie der Präsentation von Kunstwerken. Man muss sich die Nachkriegsjahre und den darauf aufbauenden Neubeginn vorstellen: Die Avantgarde war gekappt und ausgewandert, der Neubeginn gestaltete sich recht traditionell. Große Defizite auch im Bereich der von Künstlern benötigten Infrastruktur, ein Mangel an Ausstellungsräumen, Kunsthandel, Literatur etc. Der erste Versuch eines Wiederanknüpfens an die zeitgenössische Kunst war der Aufbau des ART CLUBS im Jahr 1947, der vom Maler Gustav Beck ins Leben gerufen wurde; Gründungspräsident war Albert Paris Gütersloh. Zunächst war es eine rein künstlerische Gruppe, unter ihren Mitgliedern u. a. Alfred Kubin und der damals avantgardistisch und international tätige Friedensreich Hundertwasser. Leerstände und günstige Mieten boten den Wiener Avantgardekünstlern die Möglichkeit, ungenutzte Räumlichkeiten für sich in Anspruch zu nehmen. Man fand eine Basis im Vereinlokal „Strohkoffer“ im 1. Bezirk, das schnell zum Zentrum der Wiener Szene wurde. Die im Art Club vertretenen Maler waren primär in zwei Gruppen gegliedert: zum einen die abstrakten Künstler unter der Führung von Beck und Carl Unger und zum anderen die von Edgar Jené angeführte Gruppe der Surrealisten, die später den Phantastischen Realismus begründeten. Recht bald stießen auch Gerhard Rühm und H. C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener, der damals vor allem als Jazzmusiker bekannt war, dazu. Die Szene im Umkreis des „Strohkoffers“ tauschte sich eng mit der Pariser Kunstszene aus, was auch zu einem Besuch von Jean Cocteau im Jahr 1952 führte.

Die 1954 gegründete Galerie Nächst St. Stephan schloss zeitlich und personell fast unmittelbar an den Art Club an. Initiator und prägende Persönlichkeit war Monsignore Otto Mauer. Die Galerie wurde primär mit Malern wie Hundertwasser, Markus Prachensky, Kiki Kogelnik, Maria Lassnig oder Oswald Oberhuber assoziiert. Zu den Protagonisten der Galerie zählten zudem die Literaten der Wiener Gruppe, wie Friedrich Achleitner, Konrad Bayer oder Gerhard Rühm. Bei den Vernissagen waren mit den Malern, der Wiener Gruppe, den Aktionisten, den Bildhauern und den funktionalistischen Architekten mehrere Avantgardegruppen vertreten.
Das Pendant zu dieser Gruppierung war das Griechenbeisl. Die Galerie im Griechenbeisl wurde 1960 von der Malerin Christa Hauer, die das Traditionslokal von ihrem Vater übernommen hatte, gemeinsam mit Johann Fruhmann, der dem Informel nahestand, gegründet. Hier bot sich der Szene ein Ort, der sich von der Galerie Nächst St. Stephan abgrenzte. Und es wurde eine Lücke geschlossen, die die Auflösung des Art Clubs 1959 für eine bestimmte Szene in die Wiener Ausstellungslandschaft geschlagen hatte. Die Galerie, geleitet von Künstlern für Künstler, nahm das Modell der Produzentengalerie vorweg und öffnete sich während ihres elfjährigen Bestehens konzeptuellen Tendenzen. Stand in der Galerie Nächst St. Stephan zunächst die Malerei im Vordergrund, fand das Griechenbeisl seinen Schwerpunkt in der Skulptur. Die Galerie bestand bis 1971 und zeigte die Arbeiten von Josef Bauer über die ganzen Jahre hinweg regelmäßig.Die Wiener Gruppe, die sich dem Neoavantgardismus zugehörig fühlte, an die Vorkriegsavantgarde anknüpfte und bis zum Tod von Konrad Bayer 1964 bestand, war an beiden Orten zu Hause, auch wenn die Gruppierungen durchaus konkurrierten. Ab 1954 trafen sich die Künstler auch im Cafe „Glory“, womit eigentlich die fruchtbare Periode der Gruppe begann. Anknüpfungspunkte fand man im literarischen Expressionismus, im Surrealismus und im Dadaismus. Theoretische Impulse gaben aber auch die Sprachkritik Wittgensteins und Mauthners sowie die Philosophie Max Stirners. In den „poetischen gesellschaftsspielen“ setzte man sich mit dem Material „Sprache“ auseinander, in Lesungen und Happenings, die als „literarische cabarets“ bezeichnet wurden, präsentierten die Mitglieder Textmontagen, konkrete, akustische und visuelle Poesie, Chansons und Sketches. Neu entdeckt für die moderne Dichtung wurde auch der Dialekt, der gerade bei Artmann eine große Rolle spielen sollte.

Artmann war es auch, der bereits 1953 den sogenannten „poetischen act“ definierte, eine spontane Handlung, die nicht an ein Aufzeichnungsmedium gebunden ist. Genau hier sind die frühen Arbeiten von Bauer mit den „performativen“ Graphemen anzusiedeln. Bauer hat sich von Beginn an von den konkreten und visuellen Poeten jener Zeit abgehoben, da ihn transformierte, weit experimentellere bildhauerische und malerische Verfahren interessierten, die er mit der eigenen Körperlichkeit und mit der Eingliederung von Textbausteinen verknüpfte. Aber auch in der gesamten Gruppe entwickelte sich eine radikale Einstellung zur Kunst und damit auch eine Isolation zu vorherrschenden Strömungen. Die Gruppe richtete sich gegen konservative literarische und künstlerische Ausrichtungen der Nachkriegszeit und fand darin zu Beginn keine umfassende Anerkennung. In Österreich bestand nach dem Zweiten Weltkrieg ein konservatives Klima, eine Rückbesinnung auf traditionsorientierte Denkweisen und Werte. Man versuchte in dieser Zeit die österreichische Identität aufleben zu lassen und förderte Heimatdichter wie Waggerl und Rosegger, was sich ab 1958 langsam auflöste, als sich das Land im Vorfeld der Teilnahme an der Expo in Brüssel für die architektonische Moderne entschied, um Anschluss an die internationale Moderne zu finden. Der damals junge und gänzlich unbekannte Architekt Karl Schwanzer wurde mit dem Bau des modernistischen Stahlpavillons betraut, der dann ab 1962 unter der Leitung des ebenfalls jungen und von der französischen Avantgarde beeinflussten Werner Hofmann zum 20er Haus, dem ersten Museum für zeitgenössische Kunst in Österreich, wurde.

II
Josef Bauer setzte sich ab den 1950er-Jahren gerade im Umfeld der Wiener Gruppe zunehmend mit der „Konkreten Poesie“ auseinander, indem er skulptural Texte auf ihre Grundvokale reduzierte, wodurch der visuellen Bedeutung ein größerer Stellenwert zukam. Konkrete Poesie bezeichnet Gedichte, die eine Aussage figürlich, quasi mit Worten und Buchstaben zeichnend bzw. malend, darstellen. Man muss auch diese Entwicklung im Hinblick auf die Nachkriegszeit sehen. Die Gruppe wollte eine Abkehr von den traditionellen Formen, einen Bruch mit einer jüngeren Geschichte, in der die sogenannten Eliten versagt hatten. Man suchte nach einem verfremdeten Blick auf die alte bekannte Sprache, suchte veränderte Seh- und Hörgewohnheiten, neue Lesarten, um dadurch neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft zu gewinnen. Sprache diente als Reflexionsplattform, um all jene Kontexte, in die Sprache verstrickt ist, zu formulieren. Sprachkritik ist Gesellschaftskritik, und Gesellschaftskritik entsteht durch Sprachkritik.

Die Sprache dient nicht mehr der Beschreibung eines Sachverhalts, eines Gedankens oder einer Stimmung, sondern wird selbst zum Zweck und zum Gegenstand des Gedichts bzw. sie stellt sich selbst dar. Ein wichtiger Protagonist war der Literat Heimrad Bäcker, der großen Einfluss auf Josef Bauer ausübte. Durch den Experimentcharakter seiner „neuen texte“, deren zunehmende Annäherung an Grundstrategien der Konzeptkunst und die offensive Aneignung von Realitätsfragmenten kam dem von Bäcker strukturierten Feld eine maßgebliche Funktion für die grundsätzliche Verankerung einer Avantgardehaltung in der österreichischen Kunst der 1970er-Jahre zu. Bäcker öffnete durch die Einbindung von Personen wie Josef Bauer den experimentellen Umgang mit Literatur sukzessive hin zu den Rezeptionskontexten der bildenden Kunst und damit auch hin zu einer größeren Öffentlichkeit. Josef Bauer teilte Bäckers Ansatz und übersetzte die Grundfragen der Konkreten Poesie konsequent in die Bildhauerei. Er arbeitete vor diesem Hintergrund an visuellen Texten, die sich über ihre haptischen Qualitäten definierten. Hier entwickelte sich schnell eine konzeptuelle, semantische Auffassung des Schaffens, dessen bestimmende Komponenten die Präsentation der Beziehungen und die Verknüpfung rein taktiler Qualitäten sind.

War der Umgang mit diesen skulpturalen Buchstabenobjekten zu Beginn an seine eigene Person gebunden, so lud Bauer bereits Mitte der 1960er-Jahre sein Publikum ein, mit amorphen Gebilden zu hantieren. „Taktile Poesie“ nannte er das und lotete dabei das Verhältnis von Körper und Bildhauerei aus. Dies war, lange bevor der um 13 Jahre jüngere Franz West mit seinen Passstücken berühmt wurde. Die Interaktion des menschlichen Körpers mit dem bildhauerischen Objekt mündete nicht nur in Wests Œuvre, sondern stand in der Problemstellung auch den späteren Versuchen der „Body Art“ nahe. 1967 entwickelte Bauer die Nackenstützen, abstrakte bildhauerische Formen aus Polyurethanschaum. Diese Stützen wurden zuerst von ihm selbst und seinen Künstlerkollegen performativ inszeniert. Diese Wechselwirkung von menschlichem Körper und künstlerischem Objekt konnte vom Betrachter manipuliert werden, während das Objekt einen autonomen Status innehatte. Alle Mitglieder der Wiener Gruppe bemühten sich zu jener Zeit um eine Neubewertung der visuellen Möglichkeiten von Text, aber Bauer war der Einzige in diesem Umfeld, der das Interesse an der Ästhetik des visuellen Textes mit der Monumentalität und Stofflichkeit des bildhauerischen Materials verband. Im Gegensatz zu seinen Kollegen zog Bauer in dieser Untersuchung aber die greifbare Natur, in der Körper und Sprache direkt aufeinandertreffen, heran, um ihr linguistisches Potenzial zu analysieren. Taktile Poesie wurde hier übersetzt als „Poesie zum Berühren“ oder „berührte Poesie“.

Am grundsätzlichsten erweiterte Bauer die damaligen Vorstellungen von visueller Poesie durch seine Installationen, denen er selbst den Titel „Taktil“ gab. Hier kommen seine Interessen für Konkrete Poesie, Malerei und Performance am augenscheinlichsten zusammen. Diese Installationen bestanden aus kleinen Papierarbeiten mit teilweise rhythmisierten Buchstabenensembles, Gipsabdrücken, skulpturalen Malereifragmenten, die verschiedene Materialitäten ad absurdum führten, Buchstaben und skulpturalen Objekten wie einer Mistgabel, die sich in giftgrünes Polyethylen drückte. Die Herausbildung eines performativen Raums war für die Zeit unüblich und wirkt in einer heutigen Neuaufstellung zunehmend zeitgenössisch. Die Spur der Hand, die die Buchstaben umschließt, heute würden wir es Auseinandersetzung mit Handwerk nennen, tritt deutlich ins Zentrum der Installationen, wie z. B. in den Gipsabgüssen im „Handalphabet“ von 1968 oder in den handgeschriebenen Papierarbeiten, die er bis heute fertigt. Die Buchstaben bzw. Grapheme, die an langen Stangen angebracht waren, dienten tragbaren Versuchsanordnungen von wechselseitig neu zu formulierenden Lautgedichten. Die Beziehungen zwischen den Zeichen konnten permanent neu verhandelt werden. Die Installation TITEL? beschreibt eine Überecksituation. Das Interessante und wahrscheinlich auch ihr Ausgangspunkt ist ein großes A in der Ecke der Installation. Das A ist der Anfang des Alphabets und steht damit am Beginn jeglicher Artikulation. Es ist der Ausgangspunkt jeglicher Poesie. Der universelle Beginn geht zusammen mit der eigenen Handschrift und dem eigenen Körper. Auf einer Fotografie stemmt Bauer gleich Herkules einen Stein, der aber als Gipsabdruck eine Täuschung ist und als Täuschung in der Installation vor einem liegt. Daneben liegt ein echter Stein, der schwer ist. Hier wird, wie zur selben Zeit bei Eva Hesse oder Louise Bourgeois, der taktile Sinn von Materialitäten angesprochen. Bauer verbindet dabei die Individualität seines Ausdrucks mit der Semantik des verwendeten Wortes, verknüpft unterschiedliche künstlerische Sprachen miteinander wie auch Materialitäten, die die Aussage weit über das Textliche hinaustragen. Es eröffnet sich eine Reflexionsebene, ein offener Raum, der uns eigentlich nur aus der Kunst der letzten 20 Jahre so bekannt und vertraut erscheint.

Der konzeptuelle Ansatz von Bäcker wird auch bei Bauer fortgeführt. So holte er 1963 einen Stein aus der Natur, fotografierte ihn, goss ihn ab, zeichnete seinen Umriss und beschrieb ebendiesen Vorgang. Damit analysierte er die unterschiedliche Wahrnehmung von Dingen durch Bilder und Sprache, ähnlich den späteren Versuchen eines Joseph Kosuth. Die Konzeptkunst war im Umkreis dieser Wiener Künstler schon früh angelegt und kam strikt aus einem literarischen Denken, das den Weg für einen analytischeren Umgang ebnete. Interessant ist Bauers konzeptueller Umgang mit der Malerei, die bereits die Geste in den Mittelpunkt stellt. Er benutzte anfangs gefundene Gebrauchsgegenstände, die er mit Farbe übergoss, ein rein malerischer Gestus. Auch hier wieder die Transformation der Medien, dieses Mal vom Objekt hin zur Malerei. Später, als er die malerische Geste in die Fotografie überführte, wurde es textueller bzw. konzeptueller. Wir sehen die Hand des Künstlers, die einen roten Pinselstrich in die Luft hält. Strich und Grund werden getrennt. Die malerische Geste wird isoliert und erhält dadurch neue Signifikanz. Oder er schreibt die Farbnamen auf ein Textbild. Text wird zu Bild, und Bild wird zu Text.

Auch die „One-Minute-Sculptures“ von Erwin Wurm fanden in Bauers Werkkomplex ihren Vorläufer. In den 1970er-Jahren fotografierte Bauer Frauen, die sich unter Stoffschläuchen umkleideten; Für den flüchtigen Moment des Bildes erstarren sie kurz in ihrer Balance, werden zu vergänglichen Skulpturen. Im anthropologischen und sozialwissenschaftlichen Sinn zählt die Performance zu den Körpertechniken, die den Körper als „das erste und natürlichste technische Objekt und gleichzeitig technische Mittel des Menschen“ (Duerr) voraussetzen. Er steht bei Bauer schon früh gleichberechtigt neben den anderen Formen und Techniken künstlerischen Ausdrucks und findet eine sehr eindrückliche Form.

Aus diesen Betrachtungen heraus wird schnell klar, wie virtuos Bauer künstlerische Formen wie Performance, Malerei und Konkrete Poesie, aber auch Bildhauerei miteinander verbunden und dabei ein Formenvokabular gefunden hat, welches gerade heute so ungemein zeitgenössisch wirkt. Seine Kunst war für jene Zeit wahrscheinlich zu früh, hat doch die Nachfolgegeneration aus sich heraus Ähnliches entwickelt und damit reüssiert. Umso wichtiger erscheint mir heute, die Arbeit von Bauer genau zu untersuchen und in den Kanon der österreichischen Kunst aufzunehmen. Was er früh gedacht hat, schreibt sich bis in die heutige Gegenwartskunst fort und ist aktueller denn je.


Bettina Steinbrügge


[Quelle: www.galeriekrobath.at]

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last modified at 21.08.2018


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