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Après la lettre. speech&effect

11.07.2018 - 29.08.2018

Taxispalais Kunsthalle Tirol, Innsbruck / Österreich

Veranstaltungsreihe zum Potential von nichtdiskriminierendem Sprechhandeln

Mit Vorträgen von Amara Antilla, Matthias Dell, Nikita Dhawan, Marie-Luisa Frick, Koku G. Nonoa und Anatol Stefanowitsch

Was heißt es, nichtdiskriminierend zu sprechen? Und weshalb gibt es keinen positiven Begriff, um dieses Sprechhandeln zu bezeichnen? Erstaunlich erscheint diese Tatsache vor dem Hintergrund, dass das Wissen darum, wie wir im Sagen und Bezeichnen Realität mit­konstruieren, weitverbreitet ist. Die allgemein akzeptierten Sprach­regelungen resultieren aus eingeschliffenen und unbegründeten Machtverhältnissen und Hierarchien, die wir mit jedem Sprechakt stabilisieren und erneuern.... Wie können wir unsere Lebenswelt verän­dern, indem wir unsere Sprache sorgfältig wählen und einsetzen? Und wovor haben wir Angst, wenn wir uns dem verweigern? Was steckt hinter dem Argument der vermeintlichen Verkomplizierung und des Unverständlich-/Unlesbarmachens von Gesprochenem und Geschrie­benem? Woher rührt die Vorstellung, dass wir im Perpetuieren ein­studierter Wertungsmuster Sicherheit erfahren, wo sie Ausschlüsse und Beschränkungen produzieren?

Konzipiert von Nina Tabassomi und Markus Schennach
TERMINE

Mi, 11. Juli, 18 Uhr
Assoz.-Prof. Dr. Marie-Luisa Frick
Institut für Philosophie, Universität Innsbruck

Was ist „politische Korrektheit“? Vom Abbilden und Erschaffen von Welt
Als Schlagwort und Zankapfel im politischen Diskurs ist politische Korrektheit ein philosophisch mehrfach problematisierbares Phänomen: Gibt es sie überhaupt oder ist sie eine „Verschwörung“? Wer steht hinter ihr, worauf zielt sie ab? In welchem Verhältnis stehen diese Ziele zu demokratischen Grundfreiheiten? Welche Macht und welche Aufgabe wird Sprache zugemessen? Soll sie die Welt abbilden, „wie sie ist“, oder Welt bilden? Was sind die Implikationen solcher teleologischen Optionen? Wie unterscheiden sich moralische bzw. soziale Sanktionen für unerwünschte Rede von rechtlichen? Wieviel Mut darf von mündigen Bürger_innen angesichts von sozialem Meinungsdruck erwartet werden?
Anhand der Unterscheidung von politischer Korrektheit im engeren und im erweiterten Sinne, sollen diese Fragen unter Zugrundelegung des demokratischen Prinzips sowie der Menschenrechtsidee diskutiert werden. Ziel dabei ist es, die Komplexität dieser Fragen in ihrem Zusammenspiel und an der Schnittstelle von politischer Ethik, Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie zu durchdringen und darauf aufbauend ein eigenes, fundiertes Urteil bilden zu können.

Mi, 18. Juli, 18.30 Uhr
Dr. Koku G. Nonoa
Theaterwissenschaftler, Institut für Sprachen und Literaturen/Bereich Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Innsbruck, Schwerpunkt „Kulturelle Begegnungen–Kulturelle Konflikte“

Verhandlung des Migrationsdilemmas im Theater der Gegenwart: Zum Paradox des nichtdiskriminierenden Sprechakts und Handelns
Der Oxforder Linguist John L. Austin verwendet in 1950er und 1960er Jahren in seinen Auslegungen Zur Theorie der Sprechakte (How to Do Things with Words) das Paradigma der Performance im Verhältnis zu Sprechakten. Dabei handelt es sich um solche Sprechakte, mittels derer durch sprachliche Äußerungen unter konventionellen Voraussetzungen performative Handlungen vollzogen werden. Die so vollzogenen performativen Handlungen bringen eine auf sich selbst verweisende Wirklichkeit hervor. Auf künstlerische Verhandlungsprozesse des aktuell herrschenden Migrationsdilemmas im Theater der Gegenwart übertragen, lässt sich diesbezüglich ein Paradox eines nichtdiskriminierenden Sprechakts und Handelns beobachten: gut meinende Intentionen, aber (vielleicht unbewusst) arrangierte Kategorisierungen und Grenzziehungen zwischen Vertrautem (eigener Identifikationsfigur) und Nicht-Vertrautem (anderen/fremden Elementen) gehen z.B. in theatrale und performative Anordnungen von Sprechakten und kulturspezifisch organisierten Wahrnehmungsmustern ein, ohne zugleich solche reproduzierten Ab- und Ausgrenzungsmechanismen aufzulösen.

Dieser Vortrag befasst sich anhand konkreter Beispiele mit dieser Sachlage sowie entsprechenden Lösungsansätzen in einigen Theater- bzw. Performanceprojekten der Gegenwart.

Mi, 25. Juli, 18.30 Uhr
Univ.-Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch
Sprachwissenschaftler, Institut für Englische Philologie, Freie Universität Berlin

Politisch korrekte Sprache, Moral und Meinungsfreiheit
„Politisch korrekte“ Sprache – also der Versuch, herabwürdigende Ausdrücke zu meiden – wird vor allem von Politiker_innen und Kommentator_innen aus dem konservativen Spektrum als „Zensur“, „Denkverbot“ und „Meinungsdiktatur“ dargestellt. In meinem Vortrag werde ich zeigen, dass diese Vorwürfe auf einem falschen Verständnis der Ziele „politisch korrekter“ Sprachpolitik beruhen: diese richtet sich nicht vorrangig auf den Inhalt, sondern auf die Form von Aussagen. Bezüglich dieser Form werde ich argumentieren, dass die sprachliche Political Correctness sich aus relativ unstrittigen moralischen Prinzipien ableiten lässt und dazu dient, strukturelle sprachliche Ungleichheiten abzubauen, um der derzeit zu beobachtenden Verrohung des öffent­lichen Redens einen sprachlichen Umgang entgegenzusetzen, der von gegenseitigem Respekt geprägt ist und in dem Meinungen – vor allem solche, die sich auf Wert und Rechte von Individuen und Gruppen beziehen – sachlich und ohne sprachlich herabwürdigende Ausdrücke geäußert werden, sodass Sprecher_innen für ihre Meinungen eine persönliche Verantwortung übernehmen müssen.

Do, 9. August, 18.30 Uhr (Vortrag in englischer Sprache)
Amara Antilla
Kuratorin am Solomon R. Guggenheim Museum, New York

The Politics of Illegibility (Politik der Unlesbarkeit)
Der Vortrag beschäftigt sich mit jüngeren künstlerischen Posi­tio­nen, die mittels verschiedener Formen textbasierter Abstraktion den Problemkomplex „Rasse“ in den USA verhandeln. Eingriffe in Sprache und Syntax ermöglichen diesen Künstler_innen eine Dekonstruktion von Konventionen, Wahrheit und Geschichte. Fragmente nehmen dabei den Platz des Ganzen ein und die kontingente Natur des Wissens wird demaskiert. Im Bruch mit Darstellungskonventionen finden einige der Künstler_innen Momente des Widerstands, der Verweigerung oder der vollständigen Negation. Andere zeigen im Verweigern und im Verrücken von Darstellungskonventionen wie­derum einen Möglichkeitsraum alternativer Potentialitäten und erdenklicher Zukunftsvisionen auf.

The Politics of Illegibility
The lecture examines a selection of emerging artists whose practices explore race in the United States through diverse modes of text-based abstraction. For these artists interventions in language and syntax en­able a deconstruction of convention, truth, and history, where frag­ments take the place of the whole and the unstable condition of knowledge is unmasked. For some, a break with representation in­volves an element of resistance, refusal, erasure or complete negation. Others use non- or semi-representation as a place of possibility by exposing alternative potentialities and possible futures.

Do, 16. August, 18.30 Uhr
Matthias Dell
Medienjournalist, Film-, Fernseh- und Theaterkritiker (Deutschlandfunk, der Freitag, ZEIT online)

„Politische Korrektheit“ als medialer Tinnitus, chronisch
Die Rede von der „Politischen Korrektheit“ ist eine der faszinierendsten Diskursfiguren der Gegenwart, ein medialer Dauerbrenner seit mehr als einem Vierteljahrhundert, ein immer gleiches Störgeräusch, über das sich immer neu echauffiert werden kann. Argumentative Amnesie und standardisierte Empörung: „Das wird man ja noch sagen können.“ Und dann wird ja auch gesagt, was eigentlich nicht mehr gesagt werden können darf. Es ist also einerseits auch lustig, andererseits kompliziert. Und vor allem: Was haben die Menschen eigentlich gemacht, als sie noch keine „Politische Korrektheit“ hatten? Wäre eine Welt ohne „Politische Korrektheit“ möglich? Denkbar? Lebenswert?

Mi, 29. August, 18.30 Uhr
Univ.-Prof. Dr. Nikita Dhawan
Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck, Politische Theorie mit Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung

Das Recht zu provozieren: Redefreiheit, Hate Speech und die Politik der Zensur
Das Ziel dieses Vortrags ist, sich mit der Spannung zwischen Redefreiheit und Hassrede auseinanderzusetzen. Einerseits ist die Meinungsfreiheit als einer der Eckpfeiler liberaler Demo­kratie in nahezu allen Verfassungen garantiert und geschützt. Andererseits ist die Hassrede. Diese bezeichnet sprachliche Ausdrucksweisen von Hass, zum Beispiel Antisemitismus, Sexismus, Rassismus oder Homophobie, mit dem Ziel der Herabsetzung und Verunglimpfung bestimmter Personen oder Personengruppen. In dem Vortrag über Sprache, Macht und Gewalt wird Folgendes versucht: Im ersten Teil wird das philosophische Prinzip der Redefreiheit dargestellt. Der zweite Teil setzt sich anhand der kontroversen Debatte um Charlie Hebdo mit dem Thema der Hassrede auseinander. Hier werden folgende Fragen thematisiert: Wann ist ein Sprechen rassistisch/antisemitisch und wer legt dies wie fest? Im dritten Teil wird eine der wichtigen feministischen Debatten zum Thema Zensur diskutiert, nämlich die unterschiedlichen Positionen von Catherine Mackinnon und Judith Butler. Hier werden folgende Fragen adressiert: Ab wann sind Sprechverbote legitim? Wer legt diese fest? Wer setzt diese durch?

[Quelle: https://www.taxispalais.art]

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last modified at 14.02.2019


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