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Sophia Süßmilch

08.11.2019 - 29.02.2020

Krobath Wien, Wien / Österreich

In Zeiten von Social Media sind wir alle gezwungen, uns mit der Beziehung von Öffentlichkeit und Privatheit neu auseinander zu setzen, dem Außen und dem Innen. Was zeige ich von mir und wie unmittelbar? Welche Anteile unseres Ichs brauchen Abschirmung?
In ihrer neuen Werkserie „Kokon“ untersucht Süßmilch fotografisch und malerisch die Verhältnisse von Schutz und Gefahr, Zartheit und Brutalität.
Durch den Habitus einer Gleichzeitigkeit der ironischen Distanz und der aggressiv eingeforderten Nähe wird so die Ambivalenz der Dinge umfasst und gebrochen.... Dabei wird von ihr vor allem Humor als intellektueller Widerstand genutzt, um der Unzulänglichkeit der Menschen und ihrer mangelnden Erklärbarkeit durch Worte zu begegnen und so ein Aufatmen aus geistigen Diskursen zu ermöglichen. Kunst ist hier eben auch eine innere Haltung, die den Ausweg bietet, der Welt nicht mit Angst und Zynismus zu begegnen und so das Inwendige auswendig kehren zu können. Zeige deine Wunde.



Sophia Süßmilch
Kokon
Von Lisa Moravec

Das menschliche Leben ist voller Abstraktionen. Auf einen Seinszustand folgt der nächste. Metamorphose, der Prozess des Werdens, die Bewegung von einer bestimmten körperlichen Beschaffenheit zu einer anderen, ist ein unendlicher, aber nicht ausschließlich linearer Prozess. Ein Kokon ist eine vorübergehende Hülle, die ihren Inhalt nährt und schützt, bevor sie aufbricht und das Leben freisetzt, dem sie geholfen hat heranzuwachsen. Ein Kokon bietet einen temporären Zufluchtsort, nährt und schützt dessen Inhalt, bevor er aufbricht und das Leben freisetzt, dem er geholfen hat heranzuwachsen.

Obwohl Sophia Süßmilch sich in ihrer neuesten Arbeit mit dem Kokon im wortwörtlichen Sinne auseinandersetzt, gibt es keinen echten Kokon in dieser Arbeit. Vielmehr stellt sie mit ihren Fotografien und Malereien einen suspendierten Seinszustand dar; es ist, als ob sie innehält und zurückblickt, um die Vorstellung des Werdens, des Sich-selbst-Überholens aufrecht zu erhalten.

Damit wagt sie sich an den Kokon tatsächlich heran und schiebt die metaphorisch komplexe Bürde, die zwischen zwei Seinszuständen steckt, beiseite. Ihre triptychonartige Comic-serie Three Stages of Life (2019) beschäftigt sich mit der eindringlichen Frage, wie Kindheit, Pubertät und Erwachsensein miteinander verwoben sind und enthüllt die jeweiligen Klischees aus der Warte des fleischlich Inneren. Sie präsentiert drei unterschiedliche frühe Lebensphasen, die der abstrakten Menschwerdung eine körperliche Gestalt geben; und gleichzeitig schickt sie eine gewisse Doppeldeutigkeit voraus. Die lebendige, bewegliche Raupe in Mediocre Childhood baut einen Kokon um sich in Fuck Puberty, um dann zu einem sorglosen, stacheligen Schmetterling zu werden, der sich in Depressing Adulthood durchschlägt.

Was Süßmilch mit Erwachsensein meint, wird in ihren sexuell aufgeladenen Fotografien klarer. In Teddy’s Girl sitzt sie gemütlich im aufgeschnittenen Bauch eines 2,40 Meter großen Teddybären, ihre Beine sind über die Beine des Teddybären gespreizt und ihre Brüste ragen über ihrem engen Bodysuit hervor. In dem Foto, A mother is the mother of all problems, stellt sie das Gegenteil ihrer Haltung zur elterlichen Erziehung dar: über ihre biologische Mutter gebeugt, umhüllt sie sie mit den langen Haaren ihrer zotteligen, blonden Perücke. Den Te(Da)ddy eher in den Mittelpunkt stellend als ihre bedeckten Mutter, ist Süßmilch selbst in Real feminists hate dicks mit einer Halskrause aus Bananen zu sehen, die ihren Kopf komplett einkrönt. Obwohl das Bild einer Appropriation von Josephine Bakers berühmten Bananenrock-Tanz gleichkommt, eine bewusst erotisierende und objektivierende Performance einer schwarzen Frau, parodiert Süßmilch hier ein eurozentristisches Bild des Phallus, und legt noch zusätzlich eine ungeschälte süße Frucht zwischen ihren Beinen – ihre eigene Version eines Törtchens, das noch verzehrt werden soll.

Das Bild Placenta Paradise nagt an der Körperlichkeit der Organe. Freihängende, ausgebreitete kugelförmige Placenta sind in verschiedenen Formen, Größen und Farben gemalt und sehen jeweils unterschiedlich aus. Süßmilchs fleischige Eingeweide scheinen keiner Logik zu folgen und die figurativen Organe bestehen nur aus einer abstrakten Leber, zu groß oder zu klein geratenen Gedärmen, undefinierbaren Gallenformen, kleinen Mägen und Lungen. Chaos, in Ordnung – die Formen ihrer Organe erscheinen buchstäblich abstrakt.

Trotz ihrer agitierenden Direktheit übertragen und performen Süßmilchs Arbeiten tiefgreifende ästhetische Erfahrungen auf Leinwand oder Fotopapier. Sie beugen körperliche Aha-Momente, wie etwa das psychedelisch bunte Bild einer abstrakten Figur auf schwarzem Hintergrund mit dem Titel Ich war noch nie beim Yoga oder neoliberale Waffen des Spätkapitalismus und die romantische Farbpaarung von Blau und Gelb innerhalb einer ovalen Farbfläche zeigen das Haus einer rosa Schnecke, die zum linken Bildrand kriecht. Süßmilchs ironischer Humor ist durchwoben mit melancholischen und aggressiven Strängen, so wie das Bauchgefühl gegen die eigene kosmisch spürbare Tierhaftigkeit des Menschen antreibt. Der Versuch Sophia Süßmilchs Arbeiten allegorisch zu lesen, das heißt, die Aufmerksamkeit auf die Art der Verbindung, die sie zwischen zwei Dingen herstellt, lebend oder unbewegt, dokumentierend oder abstrakt, veranschaulicht einen tief in den Gedärmen sitzenden Widerstand gegen die Transformation in eine andere Mutter; ihr Werkkörper zeigt nichts Anderes als ihr eigenes begehrendes Selbst.

Übersetzung: Dr. Mandana Taban

[Quelle: http://www.galeriekrobath.at/aktuelle_ausstellungen/2/information/]

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last modified at 22.01.2020


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