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Peter Tscherkassky. Coming Attractions

04.2016 - 06.2016

Galerie Stadtpark Krems, Krems an der Donau / Österreich

Peter Tscherkasskys Filme lassen den Blick nicht zur Ruhe kommen und fordern den Betrachter dabei bildontologisch unablässig heraus. Die Konstellation der ausgewählten Filme der Ausstellung Coming Attractions zeichnet sich durch zwei markante Gemeinsamkeiten aus – einerseits sind die drei Filme in der Dunkelkammer, mit dem eigens von Tscherkassky entwickelten Kontaktkopierverfahren entstanden, andererseits verarbeitet der Künstler Found-Footage: Fragmente analoger Werbefilme und Filmtrailer bilden das Ausgangsmaterial von Tscherkasskys strukturellen Rekompositionen und werden behutsam und stets mit einem Augenzwinkern semantisch ad absurdum geführt.... Tscherkasskys ästhetischer Umgang mit dem filmischem Material ist dabei nicht bloß dekonstruktivistisch oder antiillusionistisch – seine Arbeiten sind von einem radikal produktionsästhetischen Denken bestimmt. Ihn interessieren die Möglichkeiten dezidiert analoger Bearbeitung, d.h. des unmittelbaren Zugriffs auf das filmische Bildmaterial.

Tscherkasskys ästhetische Praxis war bis 1989 deutlich vom Super-8- und 16-mm-Film bestimmt. Beide Medien erfreuten sich wegen einfacher Handhabung und Verfügbarkeit großer Beliebtheit. Jenseits des Diktums der „Nouveauté“ des Avantgardefilms erlaubten diese für den privaten Gebrauch entwickelten Filmformate die spielerische Aneignung des Mediums. Ihre Grobheit und Körnigkeit rückten die Materialität in den Vordergrund. „Super 8“, so der Künstler „war der Pointillismus, Impressionismus und abstrakte Expressionismus der Kinematografie“.
Der 35-mm-Kurzfilm Manufraktur (1985), der älteste Film der gezeigten Dreierkonstellation, bedeutet eine Zäsur, retrospektiv betrachtet eine Wende in der Arbeitsweise des Künstlers. Manufraktur bildet den Ursprung jenes von Tscherkassky eigens entwickelten Kontaktkopierverfahrens, bei dem er vorhandenes Filmmaterial (Found-Footage-Filme) auf einen unbelichteten, neuen Film legt, belichtet und somit kopiert. Auf diese Weise vermag Tscherkassky nicht nur unterschiedliche Filmbildschichten übereinanderzulegen, sondern auch wesentlich in den Übertragungs- bzw. Kopierprozess einzugreifen. Tscherkassky bediente sich hier erstmals nicht mehr selbst gedrehter, sondern ausschließlich vorgefundener professioneller Filmaufnahmen im 35-mm-Format. Die Bildraumdiegese fand nicht mehr durch Folgen real und selbst gefilmter, anschließend zusammengesetzter Aufnahmen und Schnitte statt, sondern einzig in der Montage, der Verdichtung „fertigen“ Filmmaterials fremder Autorschaft in der Dunkelkammer.

Das Ausgangsmaterial von Manufraktur bilden zwei Found-Footage-Werbefilme, die Bewegung zum Thema haben, einmal in Form von Autofahren (Semperitreifen), das andere mal in Form von Gehen (Ergee-Damenstrümpfe). Zudem arbeitet der Künstler im Kontaktkopierverfahren selbst aufgenommene Kleinbildfotos von bewegten Händen ein. Wenn auch Bewegung und Beschleunigung als explizite Themen des auf diese Weise entstandenen Kurzfilms ‚lesbar werden, so nicht auf abbildhaft-semantische Art und Weise. Stattdessen versucht Tscherkassky, die implizit kinetische Energie des Filmbildes selbst zur Erscheinung zu bringen, indem er dem Betrachter die Beschleunigung der Bilder vor Augen führt und somit auf das artifizielle Wesen jeglicher filmischer Bewegungswiedergabe verweist. Über die Dramaturgie der Schnitte, die Überblendungen, innerbildliche Kollisionen formiert sich – letztlich im Auge des Betrachters – ein Bildraum überbordender Akzeleration.

Das hier entwickelte und erstmals angewandte Kontaktkopierverfahren ließ neben Überlagerungen eine ganze Reihe analoger Eingriffe zu. Fade-in und Fade-out, erzeugt durch das Einarbeiten von Schwarzkadern, additive oder subtraktive Überlagerung von Filmbildpositiv und -negativ, die sozusagen interferenzartig umrisshafte Nachgestalten hervorbringt, sowie das das layerhafte Einarbeiten unterschiedlicher Texturen (beispielsweise von echten Laubblättern im Kapitel „Cubist Cinema 3“ im Film Coming Attractions) sind seit der Entwicklung dieser Dunkelkammertechnik konstitutiv für Tscherkasskys filmische Sprache.

Mittels unterschiedlicher Lichtquellen (Lampen und Laserpointer) und durch das händische Variieren und Bewegen dieser Projektionsquellen beim Kontaktkopieren wird ein beinahe malerischer Prozess der Übertragung möglich. Die Hand, der direkte manuelle Zugriff auf das Material, spielt dabei eine zentrale Rolle. Man könnte von einem dynamisierten Schichtbild sprechen, dessen ästhetische Wirkung weniger auf schlichter Überlagerung basiert, sondern durch das manuelle Umschreiben eines Films auf den anderen zustandekommt.

Die temporalen Grundbausteine von Tscherkasskys Arbeitsweise bilden die jeweils am Schneidetisch bearbeiteten 100 cm Filmstreifen, 50 Kader, das entspricht 2 Sekunden Filmlaufzeit. Trotz der sukzessiven Aneinanderreihung der auf diese Weise entstandenen 2-Sekunden-Einheiten ist die innerfilmische und raumdiegetische Entwicklung nicht notwendigerweise linear. Durch die Möglichkeiten der Mehrfachbelichtung lassen sich unterschiedliche filmische Abläufe (Zeitebenen) und bildräumliche Ebenen übereinanderlegen, verschränken, einander stören oder auch beinahe auslöschen. Bei Tscherkassky kollidieren unterschiedliche Formen der Zeitlichkeit, indem piktorale Zeitlichkeit und die flüchtige Dauer des filmischen Bewegtbilds aufeinandertreffen. Stillgestelltes, fotografisches und bewegtes/beschleunigtes filmisches Bild stehen dabei nicht in einem Gegensatz, sondern unterhalten ein dialektisches Verhältnis. Tscherkasskys Arbeit geht prozesshaft betrachtet vom Einzelnen, vom Standbild bzw. Kader zur Vielheit, zum Bildkontinuum. Das Scharnier zwischen den unterschiedlichen temporalen Verfasstheiten des Bildes bildet nicht bloß der Projektor, der das Bild letztlich wieder beschleunigt und im Auge des Betrachters synthetisieren lässt, sondern der „human factor“ wie Tscherkassky es nennt, Momente der Abweichung und Aleatorik im manuellen Prozess. Dennoch wäre die Bezeichnung „experimentell“ völlig unzutreffend. Tscherkasskys Arbeitsweise beinhaltet, obgleich radikal produktionsästhetisch und prozesshaft ausgerichtet, eine Vielzahl kompositorischer, planerischer Elemente. Sein Umgang mit dem Material ist dabei nicht von der möglichen Wirkung her gedacht, sondern von einem prozesshaften Moment sowie der Eigendynamik der Materials mitbestimmt.

In l’Arrivée (1998) greift Tscherkassky das Kontaktkopierverfahren wieder auf. Hier verarbeitet der Künstler Material eines Kinotrailers zu Mayerling von Terence Young aus dem Jahr 1969. Er spiegelte jedoch den in Mayerling von links einfahrenden Zug, um ihn als Zitat von Lumières L’Arrivée d’un train à La Ciotat (1895)umsemantisieren zu können. Der dreiminütige Kurzfilm tritt aus dem reinen Weiß des Projektionslichts hervor. Verschmutzungen und Kratzer leiten das Geschehen ein und lassen die Szenerie aus dem „Rauschen“ hervortreten. Aus dem anfänglichen ikonischen „Nichts“ formiert sich langsam ein filmbildliches Szenario rudimentärster dramaturgischen „Ausstattung“. Wenn auch äußerst brüchig und immer wieder zersetzt und aufgelöst, fährt der Zug ein, kollidiert mit der eigenen filmbildlichen Spiegelung, bis schließlich die am Bahnhof Eintreffende (Catherine Deneuve) aussteigt und dramaturgisch erwartungsgemäß einem Mann (Omar Sharif) in die Arme fällt und auf diese Weise die rasch aufgebaute filmische Erwartungshaltung abrupt befriedigt. Die anfänglich weiße Leinwand wird zum Sinnbild für die Erwartung an das mögliche kommende Bild, ans filmische Bild selbst. Das Einfahren des Zuges fungiert in Anspielung an den frühen Lumière-Film als Metapher für die Erwartungshaltung gegenüber dem zu Zeiten Lumières neue Medium. Metafilmisch gelesen wird die Szenerie bei Tscherkassky jedoch zur kritischen Metapher für die kulturelle Gegenwart des Films, sprich das Ende des analogen Filmzeitalters, und somit zum ironischen Kommentar auf die Mechanismen kulturindustriellen Fortschritts.

Coming Attractions (2010), der dritte und umfangreichste Film, der auch für die gesamte Ausstellung titelgebend war, unternimmt filmhistorisch anspielungsreich die gezielte Engführung dreier unterschiedlicher Formen des Bewegtbildes, denen ein exhibitionistisches Moment zu eigen ist: das frühe Kino, der Avantgardefilm und das Format des Werbefilms. Das Exhibitionistische, das Vergnügen sich – dies meint gezeigte Personen wie auch das Medium und seine Möglichkeiten selbst – zu zeigen, war dem frühen Kino inhärent, es zeigte nur zu gerne, was es vermag. Dem Zuschauer war dabei noch stets bewusst, dass etwas aufgenommen, etwas gezeigt wurde, er wurde auch durchaus direkt adressiert, angeblickt, gar angesprochen. Zwischen Betrachter und Betrachtetem bestand eine Komplizenschaft, eine stille Abmachung von Sehen und Gesehenwerden. Erst später, in den 1910er-Jahren wich diese Komplizenschaft dem voyeuristischen Blick, der den Zuschauer vergessen machen wollte, dass die Kamera aufnimmt und der Film letztlich ein Konstruiertes ist.

Im Sinne dieser anfänglich exhibitionistischen Blickregie zeigt die erste Einstellung in Coming Attractions den suchenden, prüfenden, zugleich erwartungsvollen Blick eines Mannes – realiter ein kurzer Filmausschnitt einer Haarföhnreklame –, sodass der Betrachter gleich zu Beginn an den Akt des Schauens erinnert wird. Tscherkassky verweist damit freilich nicht bloß auf die Kommunikation durch Blicke, das filmische Dispositiv und die räumlichen Gegebenheiten des Kino. Der Film setzt jedoch nicht nur selbstreflexiv bezüglich der grundlegenden Konstituenten des Sehens und der filmischen Wahrnehmung an, sondern mehr noch filmgeschichtlich, indem er den Blick zurück richtet auf die Anfänge des Kinos, die den späteren Verlauf zunehmend bestimmen.

In der zweiten Einstellung widmet sich Tscherkassky der jüngsten der drei Filmbildgattungen, der Werbung. Der Betrachter wird mit überlagerten, ineinander verschränkten und verschachtelten Aufnahmen einer lasziv wirkenden Darstellerin konfrontiert, die im Original Werbung für Auer-Schnitten macht. Es handelt sich dabei jedoch nicht um fertige Aufnahmen, sondern um sogenannte Rushes – schnell gemachte und gesichtete Aufnahmen von Laiendarstellern –, um aus der Vielzahl von Aufnahmen einen möglichst spontan wirkenden Blick der Frau in die Kamera „einzufangen“. Der direkte Blick in die Kamera, die Koketterie mit dem Betrachter und dessen Verführung (letztlich zum beworbenen Produkt), ist einziger Dreh- und Angelpunkt dieser obsessiv anmutenden Aufnahmefolgen. Das Moment der Wiederholung, die unzähligen Versuche, so spontan wie möglich den Blick dem Kameraauge zuzuwenden, verleiht dem Szenario eine beklemmende, absurde Note. Unmittelbarkeit und Spontanität werden nicht nur ins Gegenteil verkehrt, sondern ad absurdum geführt.

In insgesamt elf Kapiteln, deren Titel leicht verfremdete Verweise auf Filmgeschichte und -theorie bilden, lässt Tscherkassky die drei Filmbildwelten von frühem Kino, Avantgardefilm und Werbefilm in unterschiedlichen Konstellationen aufeinandertreffen und in Dialog zueinander treten. So wird in Kapitel 1 („Cubist Cinema 1“) die mühselige Wiederholung der immergleichen Blickbewegung eines Haarföhn-Models in die Kamera zur direkten Antwort auf den suchenden Blick des Mannes in den Rückspiegel in der einleitenden Szene. Im vierten Kapiel lässt Tscherkassky Fernand Legers Ballet mécanique zum „Ballet Monotonique“ werden. Die Wäschefrau, die im Originalfilm eine Treppe an der Seine hinaufsteigt, wird bei Tscherkassky durch die Darstellerin einer Tia-Maria-Kaffeelikör-Werbung substituiert. Die zwischen harten Schwarz-Weiß-Kontrasten changierende Treppe mutiert anspielungsreich zu Gitterstäben. Die Feier des Maschinenzeitalters des kubistischen Originals schlägt um in Mechanisierung und Depersonalisierung.

Auch dem Interesse des frühen Kinos an unkontrollierten Abläufen wie Bewegungen von Pflanzen, Meereswellen, Rauchschwaden oder Menschenmassen („nature caught in act“) widmet Tscherkassky ein Kapitel. In Anlehnung an Rough sea at Dover (1896) fokussiert „Rough sea at Nowhere“ das Überlaufen beim Einschenken eines Sodaglases. Das wiederholte Einschenken und das Überlaufen des Glases bei diesen Werbeaufnahmen für Sodapatronen wird als anzügliche Metapher lesbar. Das letzte Kapitel lässt schließlich einen Pasolini-Darsteller (aus Arabian Nights) mit einem an schauspielerischer Unglaubwürdigkeit kaum zu übertreffenden Traktorfahrer aus einer inszenatorisch absurden Pfanni-Werbung zusammentreffen. Diese beiden gänzlich unterschiedlichen Formen filmisch aufgezeichneter Unsicherheit bringen den Betrachter als peinlich berührten Dritten ins Spiel treten und lassen ihn seiner selbst als Beobachter bewusst werden.

Ohne sich je für das eine oder andere zu entscheiden, changiert Tscherkasskys Filmbild zwischen konzeptuellem und materiellem Status. Tscherkasskys Found-Footage-Filme frönen der Freude an der Materialität und dem Eigenleben der Bilder und sind zudem von subtilen filmhistorischen Verweisen geprägt, die sich zu einem affizierenden Metafilm verdichten. Großes Kino trifft hier wie selbstverständlich auf das Kleine, Banale und Laienhafte. Tscherkassky formiert Gefüge aus Mikronarrativen, deren Charme und Unbeholfenheit einen wesentlichen Teil der subtilen ironischen Wirkung seiner Arbeiten ausmachen. Er versieht das Auratische des Kinobildes, und die Autorität der Avantgarde mit Fragezeichen und lässt zugleich humorvoll die Absicht der Werbung gegen sich selbst antreten.

Im Wissen um das sogenannte „Ende“ des analogen Films betreibt Tscherkassky ein ästhetisch-referenzielles Spiel, dem Polemik ebenso fremd ist wie Nostalgie, dem aber durchaus ein melancholisches Moment zu eigen ist. Tscherkassky geht es nicht um schlichte Aneignung oder Wiederaneigung des Materials, auch nicht bloß um Analysen des cinematischen Apparats – seine Filme sind vielmehr Epsioden einer cinematischen Gedächtnisarbeit: Erinnerungen an das eigene Medium, Erinnerungen an einstige Verheißungen der Zukunft des Filmischen selbst.



David Komary

[Quelle: www.galeriestadtpark.at]

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last modified at 03.12.2018


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